Kulturkampf statt Klassenkampf
Heft 3 der Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle
Transkript
Deckblatt-Innenseite mit programmatischen Grundlinien; d.Red.:
La Kaverno di Zaratustra,
jener Höhle Zaratustras mit ihren Seiten- und Hinterhöhlen, in der die Irrenden und Schweifenden, die Ausgestoßenen und Davongelaufenen sich zum höheren Menschen zusammensetzen.
- Die in einer Stadt lebenden Gesinnungsgenossen schließen sich zu einer kommunistischen Gruppe zusammen zum Zwecke des gemeinsamen Mietens von Wohnungen, des gemeinsamen Einkaufs von Lebensmitteln und der Befriedigung sonstiger Bedürfnisse.
- Das hierzu erforderliche Geld wird zunächst in gewohnter Weise verdient.
- Das durch die kommunistische Lebensweise ersparte Geld wird zur Einrichtung eigener Werkstätten, sowie zur Anlegung von Gärtnereien, Kleinvieh- und Geflügelzüchtereien und Landwirtschaften verbraucht.
- Auf diese Weise gelingt es, allmälig mehr und mehr Kameraden aus dem heutigen Produktionsprozeß herauszuziehen und ganz auf den anarcho-kommunistischen Boden zu stellen.
- Ferner gewähren derartige Betriebe die Möglichkeit der Anlegung von Gelegenheits-Hilfs-Industrien, wie z.B. die Herstellung von Kleinholz oder kunstgewerbliche Betätigung.
- Durch Bildung kleinerer Gruppen, die auf der vorher geschilderten wirtschaftlichen Basis zusammenarbeiten, wird die Kasernierung unmöglich gemacht.
- Sämtliche Gruppen die sich irgendwo gebildet haben, schließen sich zu einer anationalen Organisation zusammen, die so eine auf streng kommunistischer Grundlage aufgebaute Konsumptions- und Produktionsgemeinschaft darstellt.
- Die einzige Autorität ist die Vernunft des Einzelnen, das einzige Zwangsmittel die Liebe des Schaffenden.
Haupttext:
KULTURKAMPF STATT KLASSENKAMPF
„Der Mensch ist das Produkt seiner Verhältnisse“.
Dieser Satz ist die unveränderliche Grundlage der meisten, die berufsmäßig oder aus Neigung über den Sozialismus denken, schreiben oder sprechen. Um aber gerecht zu sein müssen wir feststellen, dass gerade die Dilettanten, welche keine offizielle Stellung in der sozialistischen Bewegung haben, nicht so eigensinnig an diesem Dogma festhalten, als jene Berufskämpfer, welche von derselben als ihre Funktionäre leben. Nun habe ich gefunden, daß diese Funktionäre von ihren Arbeiten derart eingenommen sind, daß sie keine Zeit haben, ihre Kenntnisse vom Sozialismus zu vervollkommen, weshalb sie auf ihrem Standpunkt von vor vierzig Jahren beharren. Der wahre Grund dieses Verharrens aber ist ein psychologisches Motiv, das in der Konstruktion der großen zentralisierten Massenorganisation begründet liegt. Um diesen Satz zu begreifen, müssen wir die Entwicklung der Menscheit und sogar die Entwicklung des allgemeinen Lebens betrachten, da die augenblicklichen Gesellschaftszustände nur die Konsequenzen früherer Entwicklungszustände darstellen.
Da sehen wir denn, wie in diesem Entwicklungsprozeß tatsächlich immer die Umgebung neue Zustände des Lebens schafft. Betrachten wir die Tiere, die durch die Aenderung des Verhältnisses von Wasser und Land auf der Erde gezwungen werden, die Umgebung, in der sie ihr Leben verbringen, zu ändern, wie sie die Formen ihrer inneren und äußeren Organe umwandeln: die Kiemen verwandeln sich in Lungen, die Flossen in Füße, die Füße später in Hände, wenn sich die Tiere daran gewöhnen auf Bäumen zu leben; wir sehen sogar, wie Hände und Füße sich wieder in Flossen zurückverwandeln, wenn die Säugetiere gezwungen werden, durch das Untergehen ganzer Erdteile, im Wasser zu leben, wie z. B. die Waltiere. Diese Kenntnisse sind das Resultat der Arbeiten Darwins; und die Züchtung neuer Arten experimentiert heutzutage mit Mitteln, die sich aus diesen Erkenntnissen ergeben. Nun ist es sicher richtig, den Menschen nur als eine besondere Tierart, und nicht als irgend etwas anderes zu betrachten: aber wir sehen, daß seine Bedürfnisse so wechselvoll sind, daß er keine Zeit hat, während hunderttausenden von Jahren neue Organe zu bilden, um seinen Körper einem solchen Bedürfnis anzupassen. Deshalb hat der Mensch ein Organ, welches ihn befähigt seine Organe zu vervollkommen und den neuen Bedürfnissen durch Maschinen, Mikroskope, Teleskope, usw. gerecht zu werden,das ist die Vernunft. Die Vernunft ersetzt das Bilden neuer Organe für die Bedürfnisse, aber sie selber ist sicher ein neues Organ, und zwar ein körperliches, denn sie liegt in den Zellen des Vorderhirnes.
Die Reize, die von der Umgebung aus den Menschen treffen, werden durch die Aufnahmeorgane unseres Nervensystems, – Auge, Ohren, u.s.w. – in das gehirn weitergeleitet, wo sie sich in den verschiedenen Teilen der Groß- und Vorderhirnrinde unter Bildung bestimmter Zellen eindrücken. Diese Zellen sind nun untereinander in der vielfältigen Art durch Verbindungsbahnen, sogenannten Associationsfasern verbunden. Trifft nun ein Reiz eines unserer Sinnesorgane, so wird entweder sofort die Erinnerung an den ersten Eindruck diesesselben Reizes wieder wachgerufen, oder es werden diejenigen Associationsfasern in Tätigkeit gesetzt, die aus ähnlichen Reizen entstandenen Zellen miteinander verbinden. Hierdurch gewinnt der Mensch die Fähigkeit schnell auf äußere Reize zu reagieren, und diejenigen Entscheidungen zu fassen, die die Situation von ihm erfordert.
Also sehen wir, daß tatsächlich der Mensch das Resultat der äußeren Zustände der Umgebung ist, in der er leben muß, und von denen die Fortentwicklung der Menschheit bestimmt wurde und wird; aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Entwicklung nicht nur Magen und Hände sondern die Vernunft umgreift, und daß diese Vernunft uns die Möglichkeit gibt, neue Gesellschaftszustände zu erkennen, ja, daß diese Vernunft uns sogar dazu führen kann, solche neuen Gesellschaftsorganisationen aufzubauen, die nun ihrerseits bestimmt wieder unsere Vernunft verändern werden. Denn die Gesellschaftsorganisationen der Menschheit, oder besser gesagt einzelner Gruppen der Menschheit – die Menschheit existiert ja leider noch nicht – ich sage, die G esellschaftsorganisationen sind Produktionsmittel, gleichsam Maschinen. Die Aenderung unserer Bedürfnisse zwingt uns zur Umgestaltung des Produktionsprozesses; die Verbesserung dieses Prozesses, die Möglichkeit neue Artikel zu produzieren, neue Erfindungen zu machen, schafft neue Bedürfnisse, für deren Befriedigung konstruiert werden müssen. Und wie eine Maschine beim ersten Versuch nicht ganz vollkommen konstruiert werden kann, wie wir oft während der Konstruktion sehen, daß eine maschine nicht richtig gezeichnet ist, und das die Praxis mit der Theorie nicht übereinstimmt, und wie wir sicherlich nun diese Konstruktion nicht vollenden werde, sondern die Theorie nach den gemachten Erfahrungen berichtigen, ebenso müssen wir auch beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsorganisation verfahren. Der Wunsch, neue Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse zu schaffen, zwingt uns zur Organisation von Gesellschaften, da die Bedürfnisse des einzelnen zu vielgestaltig sind, um vom Einzelnen allein befriedigt werden zu können. Aber diese Organisation selbst, diese Zusammenleben schafft immer neue Bedürfnisse, zu deren Befriedigung die Gesellschaft nicht mehr ausreicht. Jede Organisation erzieht uns zur Höhe ihres eigenen sittlichen Standpunktes, haben wir diesen erreicht, so erfassen wir im Geiste einen neuen höheren, dessen Erfassen nun ein neues Bedürfnis, ein neues Ziel für uns darstellt. Die dauernde Vorerkenntnis derartiger neuer Zustände ist die Arbeit der Vernunft, und so erkennen wir, daß die Vernunft in unserm Leben die Rolle des theoretischen Zeichners in der Technik spielt. Dann kommt der praktische Konstrukteur, und zeigt uns die Irrtümer der Theorie. Das ist die richtige Interpretation des historischen Materialismus. Wir können und wollen nicht leugnen, daß der Mensche eine Vernunft besitzt, daß diese Vernunft unser Handeln und die Gestaltung unserer äußeren Lebensumstände beeinflussen kann; also benutzen wir sie!
II.
Diese Beziehungen zwischen ihrer Vernunft und den ökonomischen Zuständen begreifen nun die Menschen nicht klar genug, und deshalb sind sie so wenig imstande ihre Vernunft zu gebrauchen. Sie können es nicht fassen, daß niemals endgültige Dauerzustände existieren, wie überhaupt nichts existiert, sondern alles in jedem Augenblick entsteht und vergeht. Die Entwicklung des Lebens geht in der Richtung, daß immer mehr einfachste Formen sich zu komplizierten Gebilden zusammenschließen: einzelne Zellen bilden Gewebe, die Gewebe differenzieren sich zu Organen, mehrere Organe setzen sich zu einem Individuum zusammen, und die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zeigt uns, wie immer mehr und mehr Menschen sich in Gruppen vereinen, wie sich die Familie zur Geschlechtsgemeinschaft, mehrere Geschlechtsgemeinschaften zum Volk, mehrere Völker zum Staat verbinden. So gewöhnt sich der Mensch daran sich selbst und die anderen nur als Gruppenmitglied, aber niemals als Individuum zu betrachten. Die Erzählung von jenem griechischen Philosophen, welcher auf die Frage nach seiner Nationalität antwortete, ich bin ein Kosmopolit, d.h. ein Weltbürger, ist eine heitere Anekdote von einem Phantasten, der nicht ernstgenommen werden darf.
In alten Zeiten, als diese Gruppen noch klein waren, als sie entstanden aus demselben Milieu, den gleichen Gefahren des Klimas, des Bodens und der umgebenden Völker, waren diese nationalen Gruppen berechtigt, da sie natürlich waren. Heute aber sind aber diese Nationen nicht mehr auf diese natürlichen Zustände gegründet, sondern das Überbleibsel dem Zufall unterworfener Kriege, von Erbverträgen der Besitzenden und Herrscher. Dies tiefere Verständnis für das Wesen unserer heutigen „Nationen“ hat uns gelehrt, in immer steigendem Maße nicht national zu denken, und dennoch sind die Zeiten der chauvinistischen Verhetzung der Köpfe von 1914 noch nicht ganz verschwunden. Die internationale Politik der sozialistischen Parteien setzt noch immer die Nationen voraus. Lenin ist mit seinen Bestrebungen um die Erhaltung des russischen Reiches der schlagende Beweis dafür, daß auch die fortgeschrittensten Führer der heutigen Menschheit zur Zukunft noch vollständig in der Ideologie des nationalistisch kapitalistischen Gesellschaftsaufbaus stecken. Sehen wir uns die Verhältnisse der Nationen, die sich in diesem Krieg gegenübergestanden haben, näher an: die deutsche Nation setzt sich zusammen aus Dänen, Polen und Franzosen, und sicher ist der Unterschied zwischen einem bayrischen Bergbewohner und einem friesischen Bauern größer als zwischen diesem Friesen und einem Landmann in Südengland. Trotzdem kämpfte der Bayer zusammen mit dem Friesen gegen den Engländer, der Lothringer kämpfte S chulter an Schulter mit dem Ostpreußen gegen den Franzosen! Das ist widernatürlich, wenn wir den Nationalitätsgedanken über den Rahmen der Wirtschaftsvereinigung hinaus beibehalten würden.
Die gleichen Zustände herrschen im Kampf der wirtschaftlichen Gewalten. Man spricht von Klassen, von der Arbeiter- und der Bourgeoisklasse, und man sieht nicht, daß solche Klassen im Augenblick vielleicht existieren, aber ganz sicher nicht als Klassen. Die Interessen des kleinen Kaufmanns, welcher einen Laden in irgend einem Winkelgäßchen hat, sind nicht dieselben wie die des Besitzers eines Riesenkaufhauses mit Filialen in allen Städten. Die Interessen eines Mitglieds eines industriellen Riesentrustes unterscheiden sich ungeheuer von den Interessen des Kleinfabrikanten. Die großen Truste und Warenhäuser richten tausende und abertausende von kleinen Kapitalisten zugrunde, und zwingen sie, als Angestellte und Sklaven dem Großkapital zu dienen. Der Bund der Landwirte hat jahrzehntelang eine Hochschutzzoll-Politik getrieben, die es dem Kleinbauern unmöglich machte das Futter für sein Schlacht und Milchvieh zu kaufen, das er bei dem geringen Grundbesitz nicht selbst ziehen konnte.
Wir sehen also, daß wir nicht von einer einheitlichen bourgeoisen Kapitalistenklasse sprechen können, die von Einem Gedanken und Einer Seele beherrscht wird.
Dieser Unterschied zwischen den Interessen der einzelnen Mitglieder derselben Klasse besteht nicht nur in der wirtschaftlichen, sondern auch in der intellektuellen Sphäre. In der Bourgeois-Klasse finden wir viele Individuen, welche nichts kennen, als die stupidesten Zerstreuungen durch Kartenspiel und Saufen, eine Unterhaltung über ihre Beschäftigungen und die Weiberfrage, d.h. galante Abenteurer, oder die Erscheinung der pornographischen Literatur, die ihnen Gelegenheit gibt, neue Zoten und Schweinereien zu erfinden. Spricht man mit solchen
Menschen über ethische oder ästhetische Fragen, so lächeln sie oder lachen auch laut über den verrückten Idealisten. Und die Menschen sind nicht Arbeiter, denen es an der Zeit zum Lernen gefehlt hätte, sondern ich spreche von Menschen, die Studiert haben, von Doktoren und Professoren, von Menschen, welche die Höhe des modernen Unterrichts erreicht haben. Andrerseits finden wir sicher in der Bourgeois-Klasse Menschen, welche diese Mißverhältnis zwischen unserer geistigen Ausbildung und unserem ethischen Tiefstand sehen und fühlen, und welche sich bemühen, eine neue ethische Basis für unser leben aufzubauen. Aber auch diese können die Zusammenhänge zwischen der ökonomischen und ethischen Frage nicht sehen, auch sie können nicht erkennen, daß die Fehler der jetzigen Gesellschaft auf der Unrichtigkeit des kapitalistischen Systems beruhten, und nur einige wenige Individuen, die hervorgegangen sind, aus denselben sozialen Zuständen, denselben Schulen, demselben Milieu, erfassen diese Beziehungen, und von diesen wenigen wiederum nur sehr sehr wenige sind imstande die Konsequenzen ihrer Erkenntnis zu ziehen. Was ist nun die Ursache dieser Erscheinung. Das ist die Tatsache, daß die Menschen nicht gleich sind, daß sie sich in Körper- und Geisteskräften unterscheiden, daß es nicht eine Menschheit gibt, sondern eine Masse unendlich vieler äußerst verschiedener Individuen, welche nur in Bezug auf die äußere Erscheinungsform ihres Körpers gleich sind die ihnen den Titel Mensch verleiht. Aber wirklich innerlich in Bezug auf den Bau des Gehirnes, in ihren Muskel- und Nervenkräften, die allein das wahre Wesen des Menschen, des Individuums ausmachen, unterscheiden sie sich weitgehendst.
Was ich hier von der Bourgeoisie-Klasse gesagt habe, gilt in genau der gleichen Weise auch von der Arbeiter-Klasse. Auch hier haben wir nicht eine einheitliche Klasse, gleichsam Einem Körper und Einer Seele, auch in dieser Klasse sind Interessengegensätze unter den Arbeitern genau so vorhanden, wie wir es soeben von den Interessen innerhalb der Bourgeoisie-Klasse gesehen haben. Denn in der Arbeiterklasse finden wir womöglich noch größere Unterschiede in Bezug auf die intellektuelle Ausbildung der einzelnen Klassengenossen als dort. Wir finden noch sehr viele Arbeiter, welche nicht sehen, daß der Arbeiter ohne den Kapitalismus leben kann, wir finden Sozialdemokraten, wir finden Anarchisten, sie alle gehören zur Arbeiterklasse, aber sie bilden nicht eine Klasse. Der Arbeiter ist ein rein wirtschaftlicher Begriff, und deshalb ist da Dogma von den Klassen nur auf dem Boden des historischen Materialismus gewachsen. Der Materialismus ist falsch, sowohl der philosophische, als der physikalische, als auch vor allem der historische; denn wir können die Materie von der Energie nicht trennen, den Körper nicht von der Seele. Es ist unmöglich die menschliche Entwicklung nur materialistisch zu betrachten, ebenso wie die rein geistige Betrachtungsart nicht richtig ist, sondern wir müssen begreifen, daß die Entwicklung ein äußerst komplizierter Prozeß ist, der gebildet wird durch das Zusammenwirken der verschiedensten und verschiedenartigsten, oft genug einander entgegengesetzten Ursachen. Um aber richtig und gerecht über irgendeine Entscheidung urteilen zu können, muß man alle Ereignisse und Ursachen in Betracht ziehen, welche diesen Zustand herbeigeführt haben. Die Vereinfachung der Probleme ist ja für den Studierenden sehr angenehm, aber sie ist wissenschaftlich und philosophisch verkehrt und kann keine Resultate liefern.
III.
Ich wiederhole immer wieder: wir müssen den Menschen als Naturprodukt betrachten, und nur als solches; wir müssen wissen, daß für das Leben des Menschen keine anderen Gesetze gelten, als in der gesamten übrigen Natur, daß der Mensch auch hier eine Erscheinung der beiden Kraftformen, der aufgespeicherten und der lebendigen Kraft darstellt. Diese beiden Kraftformen stellen sich im Individuum dar, und wir sehen nun zwei Typen von Menschen, beim ersten Typ ist die lebendige Kraft stärker, beim zweiten kleiner und schwächer als die aufgespeicherte; daher ist der erste Typ lebhaft,
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lich nebeneinander leben, aber sie können nicht miteinander arbeiten, sie können eine Basis finden, auf der sie austauschen können, was sie von ihren Produkten selbst nicht brauchen, und ich bin überzeugt davon, daß der Schwache bei einem derartigen Austausch in einer freien Gesellschaft nicht schlecht fahren wird. Die beiden Typen können über einen Gesellschaftszustand diskutieren, der jedem Individuum die Möglichkeit gibt, nach seinen eigenen Fähigkeiten und körperlichen bedürfnissen zu leben, ohne daß der eine die Freiheit des anderen stört, aber niemals können sie über die Mittel streiten, mit denen ein solcher Zustand erreicht werden soll. Das folgende Gleichnis wird noch klarer machen, was ich sagen will.
Mehrere Menschen wollen zusammen einen Ausflug in die nächste Stadt machen; die einen haben ein Automobil, die anderen einen kleinen Karren mit einem Klappergaul davor. Was können sie tun? Es wäre lächerlich, wenn die zweiten verlangten, daß die Automobilisten nur so langsam führen, als ihre Mähre laufen kann, denn das wäre eine Plage für die Automobilisten, würde viel zu viel Brennstoff und Maschinenkräfte verbrauchen, und den zweiten nicht den geringsten Vorteil bringen. Andererseits wäre es gleich lächerlich, wenn die Automobilisten verlangen wollten, daß die anderen ihren Karren hinten am Automobil anbänden, und das Pferd zu hause ließen, Der Karren würde, so wie das Automobil nur seine halbe Geschwindigkeit entfaltete, sehr schnell in tausend Stücke gehen. Die einzige Lösung diese Problems kann nur die sein, daß sie gemeinsam die Stadt verlassen, die Automobilisten gleich nach ihrer Ankunft das Diner bestellen, sodaß nun die Wagenfahrer bei ihrer Ankunft den Tisch gedeckt, die Stühle bereit finden, und nur nötig haben, sich niederzusetzen und mit dem Essen zu beginnen.
Das ist meine Forderung an alle fortschrittlichen Elemente. Wir wollen den nächsten Zustand der Menschengesellschaft erreiche: wohlan gehen wir jeder so schnell, als seine Fortbewegungsmittel ihm das gestatten. Wir kennen das Ziel des Weges: ich sagte in meinem Aufsatz über „Kultur und Zivilisation“, daß das Ziel unseres Lebens die Erhöhung und die Kräftigung unserer Instinkte, d.h. der Aufbau eines wahren Kulturzustandes der Menschheit sein soll. Also noch einmal: gehen wir jeder so schnell wie möglich, keiner versuche den Marsch des Stärkeren aufzuhalten, keiner versuche den Schwächeren derartig anzutreiben, daß dieser gezwungen wäre, seine Kräfte zu überschreiten. Die Stärkeren werden die Ersten sein, sie werden den Tisch vorbereiten, sie werden den Weg klar machen, indem sie die größeren Steine beiseite schaffen und die Löcher ausfüllen. Auf diese Weise wird jeder seine Kräfte gebrauchen, um möglichst gut auf den neuen Kulturzustand der Menschheit losgehen zu können, während der jetzige Kampf unsere Kräfte wertlos verbraucht. Laßt uns unsere Augen gerade auf das Ziel vor uns richten und nicht zur Seite! Ich bin ein Fatalist und glaube mit aller Bestimmtheit, daß die Menschheit durch die Kräfte der Natur zu diesem neuen Kulturzustand aufsteigen wird, den wir jetzt als den sozialistischen Zustand sehen, und ich weiß, daß all diese Klassenkämpfe, all diese Kämpfe zwischen Sozialdemokraten, Anarchisten, Revolutionären und all jenen Zwischenmitgliedern und Mischungen dieser Dogmen und Gesichtspunkte nur ein Mittel der natürlichen Entwicklung sind, um unsere Vernunft zu höherer Entfaltung zu bringen. Das war notwendig, solange unsere Vernunft noch nicht genügend unterrichtet war, um uns den neuen Kulturzustand erkennen zu lassen. Jetzt können wir diesen Zustand erkennen, deshalb sage ich, wir müssen probieren, ihn zu erreichen, deshalb nenne ich mich selbst „Probist“ und fordere: handelt und schwankt nicht nur! Deshalb rufe ich: probiert! werdet probisten! gebraucht Eure Kräfte, um eine neue Kulturgemeinschaft aufzubauen, dann wird die jetzige verfaulte Gesellschaft von selbst sterben. Kämpft den Kulturkampf statt des Klassenkampfes.
Filareto Kavernido