Dr. Heinrich Goldberg

Passfoto Filareto Kavernido

Filareto Kavernido

Diese Chronologie erfaßt alles, was wir heute über das Leben Heinrich Goldbergs alias Filareto Kavernido wissen. Es mag wenig scheinen, doch Anfang 2003 wußten wir so gut wie nichts über ihn. Für die in Deutschland verbliebenen Mitglieder der Familie gab es nur vage Erinnerungen an das, was nach seiner Auswanderung nach Frankreich im Jahre 1926 geschehen war, von wo aus er Jahre später mit einigen Mitgliedern der von ihm etwa 1919-1920 gegründeten Kommune mit unbekanntem Ziel weiterziehen sollte. Man besaß eine eher ungenaue Vorstellung von einem frühen, gewaltsamen Tod irgendwo in der Karibik. Außerdem wußte man, daß er Arzt, Anhänger der Esperanto-Sprache und ein eifriger Propagandist der Ideen Nietzsches und dessen Zarathustra gewesen war und daß er sich selbst als Anarcho-Kommunist bezeichnete. Die Familie besitzt ein unscharfes, einem Ausweis entnommenes und vergrößertes Foto, auf dem ein etwa 35-40 Jahre alter Mann mit Bart und langen Haaren mit einem verträumten und zugleich entschlossenen Blick in die Ferne schaut. Er wird auch in manchen Biographien und Memoiren aus jenen Jahren der Weimarer Republik erwähnt, immer am Rande und etwas unpräzise; so werden etwa seine extravagante Bekleidung und sein imposantes Auftreten in der Art eines Propheten sowie die Kompromißlosigkeit seiner Ideen und Lebensweise geschildert; weiter wird über den Ruf berichtet, den er im Berlin der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als Redner, öffentlicher Polemist und Organisator einer Kommune erlangt hatte. Die Wirren der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkrieges trugen dazu bei, viele Spuren seines früheren Lebens und seines Schicksals sowohl aus den Archiven als auch aus dem Familiengedächtnis auszulöschen.

Auch über seine Eltern, seine Kindheit und Jugend, über seine Studentenjahre wußten wir praktisch nichts – ebensowenig wie über seinen Werdegang, der aus dem jungen jüdischen Arzt in Berlin den Führer eines kleinen und radikalen Projektes machen würde, der in der Dominikanischen Republik 1933 ein tragisches Ende finden sollte. Der fast zufällige Fund von Referenzen einiger weniger seiner Schriften, die in Fachbibliotheken Deutschlands und der Niederlande aufbewahrt werden, sowie die Erwähnung seines Todes in einer Gedenknummer der Zeitschrift Progreso, herausgegeben von der IDO-Vereinigung (aus dem Esperanto hervorgegangene Kunstsprache), führten uns auf seine Spur. So konnten wir endlich in Erfahrung bringen, daß er 1933 in der Dominikanischen Republik ums Leben gekommen war. 2003, auf einer Reise nach Santo Domingo und Moca – siebzig Jahre nach seiner Ermordung – war es uns möglich – übrigens auf höchst überraschende, sogar unglaubliche Art und Weise und auch dank der unvorhergesehenen Intervention guter Freunde –, den Kontakt mit den dort lebenden Familienangehörigen herzustellen. Daraufhin führten wir weitere Recherchen in anderen Informationsquellen und in diversen Archiven durch, vor allem in Berlin, die uns die Rekonstruktion der wichtigsten Daten seines Lebens ermöglichten. Dieses Dokument ist das noch vorläufige Ergebnis einer nicht abgeschlossenen Untersuchung.

Letzte Aktualisierung: 01.2024

Tabellarischer Lebenslauf

Geburt von Heinrich Goldberg am 24.07.1880 in Berlin Weißensee als Sohn des Arztes Ludwig Goldberg und dessen Frau Elise Goldberg, geb. Karfunkel. Er hat eine 1884 geborene Schwester, Margarete, gestorben ca. 1910 bis 1913. Deren Tochter Irma, geb. 1910, wächst nach dem Tod von Margarete bei den Großeltern Goldberg auf. Sein Vater wurde in der kleinen Stadt Altlandsberg östlich von Berlin am 27. Januar 1856 geboren. 1878 ließ er sich in der alten Gemeinde Weißensee in Berlin nieder. Die Familie besass ein bis 2019 noch erhaltenes Haus, die heutige Berliner Allee 164. Ludwig Goldberg war wirtschaftlich gut situiert: im Jahre 1892 wird er als der drittgrößte individuelle Steuerzahler seiner Gemeinde verzeichnet; 1895 stand er einem großen Haushalt vor, dem fünf männliche und sechs weibliche Personen angehörten, darunter vermutlich auch Dienstpersonal. 1911 steht sein Name im Verzeichnis der größeren Grundbesitzer in Weißensee mit mehreren Grundstücken mit zusammen mehr als 36 Ar Boden. Er unterhielt eine private Heilanstalt in der Feldtmannstraße und war zeitweilig als Armenarzt tätig. Er war aktives Mitglied in der jüdischen Adass Jisroel Gemeinde. Als erster Jude, der überhaupt ein solches Amt innehatte, war er Gemeindevertreter in Alt-Weißensee zwischen 1898 und 1904. Über Ludwigs Ehefrau ist uns noch wenig bekannt.