Tempelhof Mariendorfer Zeitung, 13. Juli 1921
Die Tempelhof Mariendorfer Zeitung zu einem Vortrag von Filareto Kavernido
Die Propaganda der Mariendorfer Anarcho-Kommunisten.
Die Nacktkultur der Höhlenbewohner von Spreenhagen beschäftigte vor einigen Wochen die gesamte großstädtische Presse. Das geistige Haupt dieser Gesellschaft von nackten Naturmenschen ist der auch in Mariendorf gut bekannte Dr. Goldberg, der Sohn des verstorbenen Weißenseer gleichnamigen Arztes.
Dieser Sohn praktizierte längere Zeit in Hohenschönhausen, wo er als Anarchist manches Abenteuer zu bestehen hatte. Die Verhältnisse spitzten sich so zu, daß Dr. Goldberg es vorzog, ins Ausland zu gehen. Nach der Revolution kehrte er zurück, um sich auf ein Gebiet zu verlegen, das Neigungen entspricht, die sich schon früher bei Dr. Goldberg geäußert haben. Dr. Goldberg gründete eine kommunistische, der freien Liebe huldigende Gesellschaft. Diese Gesellschaft lebte in dem einsamen Spreenhagen herrlich und in Freude,bis die Polizei eingriff und dem Treiben ein Ende setzte. Dieser Dr. Goldberg ist vom Weißenseer Arbeiter-Elternbund dazu ausersehen worden, einen Vortrag zu halten über die Unfähigkeit der Sozialisten und Kommunisten, ihre Anhänger für höhere Kulturstufen reif zu machen. Um dieses merkwürdige Thema zu begründen, schreibt ein Vorstandsmitglied des Arbeiter-Elternbundes der „Nord-Ost-Zeitung“: „Man würde dieser sogenannten Gemeinschaft der freien Menschen „La Kaverno di Zaratustra“ unrecht tun, wenn man selbige nicht als Idealisten, sondern als Utopisten und Phantasten bezeichnen oder ihr sogar unlautere und unsittliche Motive unterschieben würde. Allerdings weichen die Anschauungen dieser Sekte über Kultur und Zivilisation wesentlich von der allgemein geltenden Auffassung ab. Als Gast hatte ich mehrmals Gelegenheit, den Vorträgen dieses Führers – richtiger gesagt: Lehrers, denn dort gibt es angeblich keine Führer und keine Geführten – Dr. med. Goldberg beizuwohnen, und ich war erstaunt, mit welcher Beweglichkeit – ohne oberflächlich zu werden – dort auch von vielen Hörern, und zwar nicht nur aus den Kreisen von Intellektuellen, Philosophie Ethik und Ästhetik behandelt wurden. Dr. Goldberg, Dissident, jedoch nicht Atheist, bekennt sich zum kommunistischen Anarchismus, d.h. zur kommunistischen Produktions- und Wirtschaftsweise und anarchistischen Gesellschaftsordnung. Seine von ihm gegründete Gemeinschaft in der Mulackstraße ist auf dieser Grundlage aufgebaut. Die einzige Autorität ist die Vernunft des einzelnen, das einzige Zwangsmittel die Liebe des Schaffenden. Dr. med. Goldberg ist der festen Überzeugung, alle seine Ideale auf wirtschaftlich-friedlichem Wege, ohne Klassenkampf, den er als höchst unfruchtbar verwirft, und ohne Erringung der politischen Macht zu realisieren. Der Arbeiter-Elternbund, der auch gern Andersdenkende, somit auch Dr. med. Goldberg in seinen Vorträgen zu Wort kommen läßt, hat ihn deshlab zu einem öffentlichen Vortrag gewonnen“.
Infos zum Artikel
Zeitung: Tempelhof Mariendorfer Zeitung
Erscheinungsdatum: 21. Juli 1921
Nummer: unbekannt
Autor: unbekannt
Überschrift: Die Propaganda der Mariendorfer Anarcho- Kommunisten
Thema: Die Tempelhof Mariendorfer Zeitung zu einem Vortrag von Filareto Kavernido:
Dank an den Berliner Historiker Matthias Heisig für die Übermittlung des Artikels. Dieser Artikel, einer von drei Zeitungsauschnitten, die uns Matthias Heisig zukommen ließ, enthalten sehr wichtige Hinweise auf weiter Quellen, denen wir zur Zeit nachgehen.